Die Ganes und die Salvans
Lesenswerte Legenden
In sämtlichen ladinischen Regionen erzählt man sich Geschichten über die Salvans und die Ganes (die Waldmenschen und die Saligen). Waldmenschen waren sie und lebten in Felshöhlen, wo auch Fuchs und anderes Getier manchmal Zuflucht suchten. Sie ernährten sich von Wild, kleideten sich mit Fellen von Wölfen und Bären und wilden Stieren, wie sie es damals noch gab. Sprechen konnten sie kaum; den Donner fürchteten sie wie den Teufel und litten meist unter schrecklichem Hunger. Oben in Kolfuschg wimmelte es von diesen Waldmenschen, die in Puz und auf den Bergwiesen verstreut lebten; deshalb gibt es dort noch eine Quelle namens Salvan; im Winter kamen sie ganz durchfroren von Puz herunter und machten vor allem in Longiarú und Pecëi Halt; wenn man ihnen etwas gab, nahmen sie es an. Sie taten niemandem etwas zuleide, aber wenn sich jemand lustig über sie machte oder sie beleidigte, rächten sie sich bitter, waren sie doch kräftig wie Riesen. Die größte Freude hatten sie mit den Schafen, die sie nachts oft von den Ställen auf die Weide führten.
Einst gab es im Mittagstal oben in Kolfuschg auch eine schöne junge Gana, die immer aus ihrem Tal heraus nach Pecëi zum Aufwärmen kam: Da sie oft zu Besuch war, hatte sie auch Ladinisch gelernt. Der Hofbesitzer war noch ledig. Er fand Gefallen an der Gana, auch weil sie eine gute Arbeiterin war; nachdem sie den christlichen Glauben angenommen hatte, ließ sie sich taufen, heiratete und wurde Herrin von Pecëi. Dazu muss man wissen, dass sie ihn nur unter einer Bedingung zum Mann nahm: Er dürfe niemals ihr Gesicht mit dem Handrücken berühren, denn dann hätte sie fortgehen müssen. Lange Zeit ging alles gut, die Gana war eine gute und tüchtige Frau und erzog die Kinder in Ehrfurcht vor Gott. Doch eines samstags, als sie gerade ihre Kinder wusch, kam der Mann müde nach Hause ruhte sich an der Seite seiner Frau aus. Beide Hände voll zu tun, sagte sie zum Mann: „Du, schau, ich habe etwas auf der Stirn, ich weiß nicht, was es ist.“ Der arme Mann näherte seine Hand, um eine Fliege oder, was auch immer es war, zu verjagen oder fangen, und berührte sie mit dem Handrücken. In diesem Augenblick erschrak sie, wurde ganz rot im Gesicht, stieß einen spitzen Schrei aus, betrachtete voller Mitleid Mann und Kinder und fort war sie. Nie wieder wurde sie gesehen.
Auch in Val gab es, wie behauptet wurde, viele dieser Waldmenschen. Die Männer wurden Pantegan' genannt, die Frauen Pantegannes. Es war allseits bekannt, dass die Bewohner von Val auch immer etwas Besonderes haben wollten. Wenn sie also kamen, um nach Brot und Milch zu fragen, sagten sie: „Pûca latta, pûca pan.“ Jenen von Miribun prophezeiten sie, dass sie nie Mangel an Brot und Mädchen haben würden, gerade so, als wollten sie mit diesen Worten zeigen, wie sehr sie sie liebten. Es schien so, als ob sich die Pantegan' seltener sehen ließen als die Pantagannes. Nur wer im Wald arbeitete, sah hin und wieder einen.
Es begab sich einmal, dass ein Mann von Val noch spät im Wald Holz hackte. Plötzlich kam ein Pantegan vorbei und fragte ihn, ob er mit ihm nach Hause gehen wolle. Der andere bat ihn, noch einen Moment zu warten, bis er den Stamm vor ihm gespalten hätte. Der Pantegan hatte nichts dagegen und fragte ihn, wie er denn heiße. Der andere, ein ganz Raffinierter, so schien es, antwortete: „Ich selbst.“
Der Arbeiter bat alsdann den Pantegan, so gütig zu sein, ihm den mit der Axt entstandenen Spalt auseinanderzudrücken; nichts Böses ahnend schob der arme Waldmensch seine Hände in den Spalt, aber im selben Moment zieht das Monster aus Val die Axt heraus und die Hände des armen Unglücklichen blieben darin stecken. Vom Schmerz der Quetschung gepeinigt, begann er zu schreien. Auf seine Schreie hin eilten seine Bekannten herbei, die nicht weit entfernt waren, und fragten ihn, wer ihm denn diese Falle gestellt habe. „Ich selbst“, antwortete er. „Wenn du es dir selbst angetan hast“, sagten die anderen, „dann behalt es“.
Johann Baptist Alton (1845–1900) aus Kolfuschg war Autor, Gelehrter Romanist, Rätoromanist und Sprachwissenschaftler in Österreich-Ungarn und der erste Ladiner, der seine Muttersprache auf universitärem Niveau nach den Paradigmen der wissenschaftlichen Romanistik erforscht hat. Nach dem Abschluss eines Philologie- und Französisch-Studiums an der Universität Innsbruck lehrte er in Trient, Prag und Wien. Er sammelte Sprichwörter, Anekdoten, Reime und Lieder Ladiniens und veröffentlichte etliche Schriften auf Deutsch, Italienisch und auch Ladinisch, um mit hohem literarischen Anspruch, das Ladinische zur Schriftsprache zu erheben. Sein bekanntestes Werk ist Proverbi, tradizioni ed anneddoti delle valli ladine orientali con versione italiana (1881), aus dem diese Sage Die Ganes und die Salvans stammt. 1899 übernahm er die Direktion des k. u. k. Gymnasiums in Rovereto. Nur wenige Monate später wurde er dort in seinem Haus Opfer eines Mordanschlags.
Sweatshirts, Mützen und T-Shirts: Unsere Alta Badia Brand Kollektion bietet dem neugierigen, abenteuerlustigen und naturverbundenen Gast eine einzigartige Note im Stil der Dolomiten. Jedes einzelne Stück vermittelt dir das Gefühl, hoch oben in den Bergen zu sein - selbst dann, wenn du dich in der Stadt befindest. Cool!