Die Tavellas
… und wenn sie nicht gestorben sind, dann schaffen sie heute noch …
Es war einmal ein kleines Dorf im Herzen der Dolomiten, in dem Menschen wohnten, die mit Farben Welten schaffen, mit Strichen Geschichten erzählen und mit Ästen Musik komponieren konnten. Solch magische Fähigkeiten waren nicht das einzige, was diese Menschen miteinander verband, nein. Alle wurden sie mit dem Namen Tavella gerufen und alle wuchsen im pittoresken Ort La Val (zu Deutsch Wengen) im heutigen Alta Badia auf. Sehr wahrscheinlich waren sie Nachfahren der Menschen aus Fanes – einem Volk, das die einzigartige Berglandschaft dieses Tales schon lange vorher besiedelt hatte und mit Murmeltieren, Adlern und anderen Naturgestalten im Bündnis war. Auf jeden Fall waren die Tavellas Töchter und Söhne der Bäume und Wälder, die sie umgaben, wuchsen mit den Farbspielen der Sonne auf den bleichen Bergen rundherum auf und konnten im Sommer sowie im Winter den Klängen und Gesängen der Natur lauschen.
So in etwa und auf keine andere Art und Weise erklärt sich das Phänomen der drei Talente zeitgenössischer Kunst aus La Val (einem Dorf mit 1.400 Einwohner*innen wohlbemerkt!): Barbara Tavella, Tobias Tavella und Ursula Tavella. Unabhängig vom Familiennamen und Verwandtschaftsgrad verbindet diese Kunstschaffenden bei genauerer Betrachtung mehr als bloß ihre Herkunft. Allen dreien scheint das Kunst-Schaffen in die Wiege gelegt, oder mehr noch, eine Urkraft ihres Wesens zu sein. Ein Sich-Ausdrücken-Müssen, das stets in enger Verbindung zur Natur, einer Einheit, steht. Und diese Beziehung zur Natur ist in keinem Fall voyeuristisch oder von romantischer Täuschung getrübt. Die Tavellas sind Teil von dem, was sie umgibt und woraus sie schöpfen. Diese Menschen können gar nicht anders, als sich durch ihre jeweilige künstlerische Praxis auszudrücken. Und es ist schier unmöglich, nicht davon auszugehen, dass das lange und sagenumwobene Erbe der Ladinischen Kultur sowie die wahrhaft einzigartige Kulisse von Alta Badia, seine Abgeschiedenheit von der Welt und die Nähe zur Natur, einen Beitrag im Ausdruck dieser Künstler*innen leistet.
Schneeweißchen und Rosenrot
Barbara Tavella, geboren 1972, studierte an der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand Malerei. Sie lebt und arbeitet in La Val in einem lichtdurchfluteten Atelier, in welchem Leinwände wie frische Wäsche auf dafür angefertigten Leinen und Vorrichtungen hängen. Vor einiger Zeit hat sie sich vom Keilrahmen verabschiedet, zumindest für die meisten, größeren Malereien, die sie anfertigt. Diese scheinen somit wie eine zweite Haut der Künstlerin und womöglich sind sie das auch, stammen sie doch alle aus einem Paralleluniversum von metamorphosen Wesen und Farblandschaften, die Barbara kontinuierlich erschafft. Pastelliges und Nebulöses fließen in klarere Linien und Knalligeres über. Wo ein Betrachter ein Tierwesen erkennt, sieht eine andere Betrachterin womöglich eine Pflanze oder ein menschliches Haupt. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Barbara Tavella die Fähigkeit besitzt, magische Bilder zu schaffen, die sich über Nacht oder je nach Stimmung und Tageszeit verändern. Jedes Bild ist wie ein Meer, in dem man an der Oberfläche schweben und in tiefergelegene Ebenen schauen kann. Und auch Barbara selbst scheint aus den tiefen Ebenen ihrer malerischen Welt zu stammen: Ihr Auftritt und Wesen haben etwas Feenhaftes. An der Tür ihres Ateliers hängt folgendes Zitat von Laotse: „Was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt einen Schmetterling.“
Tischlein, deck dich
Tobias Tavella, geboren 1990, studierte an der Universität der Künste in Berlin und lebt und schafft heute zwischen La Val und Bozen. Wenn alles, was König Midas aus der griechischen Mythologie berührte, zu Gold wurde, wird alles, was Tobias berührt, zu Kunst. Ihn als Bildhauer zu bezeichnen würde nicht ausreichen, schafft er doch immer wieder ganze Rauminstallationen und Klanglandschaften – manchmal auch beides in einem. Erkennbar sind seine Werke an ihrer Gegenüberstellung von natürlichen, beispielsweise im Wald gefundenen, Materialien und solchen aus industrieller, menschengemachter Herkunft. Geschickt verbindet und verzweigt Tobias diese in seinen Installationen und Skulpturen miteinander. Dabei kommt dem objet trouvé eine hohe Bedeutung zu und auch dem Ort, an dem das jeweilige Werk entsteht. Tobias setzt sich, sowohl alleine als auch in diversen Kollektiven, stets für mehr Schaffensraum für Kreative ein. Eine logische Folge davon ist, dass er jeden Raum und Ort, in den er tritt, mit seiner Schaffenslust und Präsenz besetzt. Diese Besetzungen sind stets friedlicher Natur, außerdem ist der Künstler stets offen für Inputs und Zusammenarbeiten. Seit geraumer Zeit drückt er sich auch durch Musik, Klänge und Geräusche aus. Es kann daher vorkommen, dass seine Installationen als riesige Instrumente genutzt werden können, wie die übergroßen Trommel-Skulpturen, die zu seinen letzten Arbeiten gehören. Doch Tobias backt auch, kocht, macht Live-Sound- Acts und lebt in einem ständigen Prozess des Kunst-Machens. Er sammelt Eindrücke, Gegenstände und Materialien und stopft alles in einen sehr ansteckenden work-in-progress.
Es ruft aus dem Wald
Ursula Tavella, geboren 1980, studierte an der NABA in Mailand Bühnenbild und lebt und arbeitet heute in La Val. Im Rahmen ihres Studiums entdeckte sie das Medium der Zeichnung als das ihre und zieht sich seitdem, wann auch immer sie nur kann, in diese Welt aus Tusche, Bleistift und Linien zurück. Sie war lange am Stadttheater Bozen tätig und wirkt auch heute noch an diversen Südtiroler Theatern, wie zum Beispiel der Dekadenz in Brixen oder dem Stadttheater in Bruneck, als Bühnen- und Kostümbildnerin mit. Ihr täglich Brot liegt daher im Erzählen von Geschichten. Am liebsten erzählt sie diese aber anhand ihrer Zeichnungen, die auch schon auf Bekleidung, in Büchern und in einem Animationsfilm gelandet sind. Sie spricht von schnellen Gesten und Bewegungen. So als müssten die Monsterlen, wie Ursula die kleinen Wesen in ihren Zeichnungen sympathischerweise nennt, sofort und unbedingt von ihren Gedanken, über ihren Arm und die Finger durch Tusche oder Bleistift zu Papier gebracht werden. Ihr Strich wirkt effektiv sehr spontan und skizzenhaft, was die dargestellten Wesen umso lebendiger erscheinen lässt. Die Zeichnungen entstehen meistens in Schwarz auf weißem Hintergrund und bekommen dadurch eine Zeitlosigkeit und Leichtigkeit, die Lust auf mehr machen. Natürlich ist Ursula mit den Fanes-Sagen und anderen Erzählungen aus den Bergen, Wäldern und Dörfern des Gadertals aufgewachsen. In ihrem Oeuvre aus sicheren und direkten Linien hat sie jedenfalls ein weiteres und eigenes Universum an Figuren und Geschichten kreiert.
Hinter den Bergen …
La Val ist also the place to be, wenn (zeitgenössische) Kunst interessiert. Rückblickend ist es wohl auch the place to be from, wünscht man sich eine Zukunft als talentierte Künstlerin oder talentierter Künstler. Doch auch das restliche Tal kann mit dem kleinen Dorf mithalten, wenn es um kulturelle und künstlerische Tätigkeiten geht. In St. Martin in Thurn, dem Hauptort des Tales, befindet sich sowohl das Museum Ladin Ćiastel de Tor, als auch das Istitut Ladin Micurá de Rü – zwei bedeutende Einrichtungen für die Geschichte und Erhaltung der Ladinischen Kultur, in denen laufend Ausstellungen und Aktionen für zeitgenössische Kunst und Kultur organisiert werden. 2012 entstand außerdem das Public-Art-Projekt SMACH, welches sozusagen eine Biennale-Freilichtausstellung an einzigartigen Schauplätzen in und rund um das Gadertal ist. In einem internationalen Kunstwettbewerb reichen Kunstschaffende ihre Projekte für die ausgewählten Standorte ein. Eine hochrangige Jury wählt für jede Edition die besten Werke aus, wobei einige am Ende in der val d’ert, dem sogenannten Kunst-Tal, verewigt werden. Last but not least, muss an dieser Stelle der legendäre, prähistorische ursus ladinicus und das ihm gewidmete Museum in San Cassiano genannt werden. Hier werden Geschichte und Lebensweise des faszinierenden Höhlenbären illustriert, der sich ausschließlich vegetarisch ernährt hat. Dieses kleine Detail macht ihn wohl zum zeitgenössischsten aller Bären und damit zu einem weiteren Kunstwerk, das auf jeden Fall einen Besuch verdient hat.
Elisa Barison arbeitet als freischaffende Kuratorin und Publizistin. Sie interessiert die Schnittstelle zwischen ruralen und urbanen Prozessen und Räumen. Sie studierte Kunstgeschichte und Publizistik an der Universität Wien und erhielt einen MBA in Cultural Management an der ICART Paris. Aktuell baut sie mit ihrem Partner in Brixen, neben ihrer Arbeit im Kulturbereich, auch Wein und Blumen an.
Sweatshirts, Mützen und T-Shirts: Unsere Alta Badia Brand Kollektion bietet dem neugierigen, abenteuerlustigen und naturverbundenen Gast eine einzigartige Note im Stil der Dolomiten. Jedes einzelne Stück vermittelt dir das Gefühl, hoch oben in den Bergen zu sein - selbst dann, wenn du dich in der Stadt befindest. Cool!