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Winterglück

Abseits der Pisten

Veröffentlicht am 05.12.2024

Tag 1 – Badia Verschlafen schmiegt sich das beschauliche Dorf Badia an diesem Morgen an den Fuß des imposanten Bergmassivs Sas dla Crusc. Als ich aus der Haustür trete, begrüßt mich ein gletscherblauer Himmel. Ich setze mich auf die Bank vor dem Haus, lege mir meine Schneeschuhe an und ziehe mir die Schlaufe der Schneeschuhstöcke über meine wasserfesten Handschuhe. Der weiche Schnee unter meinen Füßen bringt bereits nach wenigen Schritten Ruhe in meine Gedanken. Gleichmäßig atme ich die kühle Luft durch meine Nase und genieße die Frische, die sich hier auf 1.324 Metern Höhe, wie eine Maske auf mein Gesicht legt. Mein Weg führt mich heute von Badia über die Roda de Armentara zu den Armentara-Wiesen. Das von Bauernhand geschaffene 300 Hektar große Naturbiotop liegt leicht oberhalb von Badia und seinem Nachbardorf La Val. Der erste Teil meiner Schneeschuhwanderung führt mich durch herrlich duftenden Nadelwald. Stille begleitet mich auf jedem Schritt, unterbrochen einzig durch das Knirschen des leicht gefrorenen Schnees unter meinen Füßen. Als sich der Wald allmählich lichtet, erblicke ich die schneebedeckten Armentara-Wiesen, die so charakteristisch für die Landschaft von Alta-Badia sind. Der Anblick ist auch im Winter atemberaubend schön. Ich setze mich auf einen Stein, hole meine Thermoskanne mit heißem Tee aus meinem Rucksack und betrachte die schneeweiße Ebene, vereinzelt gesprenkelt nur mit braunen Farbtupfen der typischen Scheunen. Über allem thront stolz mein treuer Begleiter auf dieser Tour, der Sas dla Crusc, Symbolberg der Ladiner*innen, mit seinem 2.907 Meter hohen Le Ciaval-Gipfel. Unter seiner mächtigen Felswand steht seit vielen Jahrhunderten die Wallfahrtskirche Heiligkreuz. Bald schon nehme ich meine Wanderung wieder auf: Almhütte und Weiler erwarten mich auf dem weiteren Weg. Als ich am frühen Nachmittag nach Badia zurückkehre, spüre ich das Glück über diesen schönen Tag in meinem Herzen und ein wenig auch in meinen Muskeln. Bald, so denke ich später, als ich es mir in der warmen Stube am Holzofen gemütlich mache, wartet eine neue Schneewanderung auf mich. Vielleicht von San Cassiano zu den Störes Wiesen mit Blick auf Marmolada und Sassongher. Vielleicht entscheide ich mich aber auch für eine mehrstündige geführte Nachtwanderung durch den Wald. Wir werden sehen, was dieser Winter noch bringt …

 

Tag 2 – San Cassiano Lautlos trägt mich die moderne Kabinenbahn Piz Sorega von San Cassiano auf das auf 2.000 Metern Höhe gelegene Hochplateau zwischen Corvara, La Villa und San Cassiano. Der Ausblick auf das Sas-dla-Crusc-Massiv mit den beiden Gipfeln Lavarela und Conturines zur einen Seite und der Gherdenacia-Hochebene, dem Sassongher und der Sella-Gruppe auf der anderen Seite lässt mich vor Ehrfurcht verstummen. Ein leichtes Kribbeln breitet sich in meinem Bauch aus, als ich mit der Rodel bei der Bergstation aussteige. Ich freue mich auf die mehr als drei Kilometer lange Abfahrt auf der technisch einfachen und familienfreundlichen Naturrodelbahn Tru dla liösa Foram. Bevor ich mich buchstäblich ins Vergnügen stürze, kontrolliere ich, dass Helm und Skibrille richtig sitzen. Die nächsten 30 Minuten sind ein wahrer Rodelspaß. Immer wieder schweift mein Blick von der Rodelbahn hin zur Landschaft aus beschneiten Almwiesen und imposanten Gipfeln. Als sich die Rodelstrecke, deren Neigung durchschnittlich 10 bis 15 Prozent beträgt, durch den Foram-Wald schlängelt, verändert sich die Landschaft um mich herum. Noch einmal heißt es, sich auf die Kurven zu konzentrieren. Mit roten Wangen und einem Lachen im Gesicht erreiche ich nach einem rasanten Zielschuss das Tal mit seiner Kabinenbahn und freue mich darauf, dass der Spaß gleich wieder von vorne beginnt.

Tag 3 – Lech da Sompunt Glatt wie ein Spiegel erstreckt sich der zugefrorene Sompunt-See vor meinen Augen, vor dem Hintergrund des Sas dla Crusc und eingebettet in eine idyllische Winterlandschaft zwischen gezuckerten Wäldern aus Fichten und Lärchen. Während ich den kleinen See umrunde, beobachte ich die Paare und Familien, die fast lautlos auf ihren Kufen über den natürlichen Eislaufplatz gleiten. Bald schon wird die Sonne hinter den Bergen verschwinden und die Eisläufer*innen werden den Rückweg nachhause antreten. Ich jedoch bleibe hier und freue mich auf ein ganz besonderes Erlebnis. Ostí sön dlacia heißt die Veranstaltung, bei der mich Darbietungen auf dem Eis erwarten und Sommeliers auf Schlittschuhen mir winterliche Getränke und Köstlichkeiten lokaler Gastronomen anbieten. Und dies alles unter den Sternen von Alta Badia. Zum Glück konnte ich die Eislaufschuhe auch vor Ort ausleihen, denke ich später, als ich wieder in meinem Bett liege. Ein guter Grund, um den Lech da Sompunt oder alternativ auch das Eisstadion Corvara bald noch einmal zu besuchen.

 

Tag 4 – La Val Wie aus der Zeit gefallen liegt das Wanderdorf La Val mit seinen historischen bäuerlichen Weilern, die von den Ladiner*innen des Tales Viles genannt werden, und seinen stolzen Bauernhöfen auf 1.300 Metern Höhe. Bevor ich meine heutige Winterwanderung beginne, grüße ich den Sas dla Crusc mit der Neunerspitze, die das Dorf untermalen wie ein von der Natur geschaffenes Amphitheater. Meine Schneeschuhe brauche ich heute nicht, die rund 80 Kilometer Winterwanderwege, die Alta Badia zu bieten hat, sind mit festem Schuhwerk bestens zu begehen. Es gibt für mich keine schönere Art, die Dörfer dieses Tals zu erkunden als spazierend. Ob auf einer gemütlichen Wanderung von Corvara durch herrliche Lärchenwälder und am rauschenden Bach entlang nach La Villa oder mit Blick auf den Grup dl Sela und den Sassongher nach Colfosco. Die Möglichkeiten sind hier grenzenlos. Ich habe mich heute jedoch für eine andere Wanderung entschieden. Zu neugierig bin ich auf die geschichtsträchtigen Viles von La Val mit ihrer jahrhundertealten Architektur und Kultur. Meinen Spaziergang beginne ich bei der Dorfkirche, von wo aus ich mich in Richtung Cians bewege. Schon bald erreiche ich die kleine Kirche der Heiligen Barbara, das Wahrzeichen des Dorfes, später dann den Glockenturm der alten Kirche von La Val. Bezaubernd schön sind die Viles Ciablun, Runch, Biei und Cians. Nach einer guten Stunde kehre ich wieder zur Dorfkirche zurück. Langsam, aber sicher bricht der Abend über das Tal herein. Die Dolomiten leuchten in den schönsten Orange-, Rot- und Rosatönen. Es ist Zeit für Inrosadöra, das Dolomiten-Glühen, das Einheimische und Gäste gleichsam verzaubert. Demütig schaue ich dem Naturspektakel zu, während der Vollmond gemächlich seinen Platz am Himmel einnimmt. Noch ist mein Tag nicht zu Ende. Eine geführte Wanderung mit Gerhard, dem Wanderleiter, zur Hütte Ranch da André und ein Abendessen mit typisch ladinischen Köstlichkeiten wartet noch auf mich. Bun pro y buna nöt!

Tag 5 – Sciaré Nur drei Kilometer von San Cassiano entfernt liegt das Langlaufzentrum Zënter de paslunch Alta Badia. Hier habe ich mir für heute eine private Einzelstunde bei einem Skilehrer der Langlaufschule Alta Badia gebucht. Schon lange spiele ich mit dem Gedanken, meine rudimentären Langlaufkenntnisse zu verbessern. Die nordische Sportart fasziniert mich. Ich sehne mich vor allem nach der Stille, die mich beim Gleiten über einsame Loipen durch Wiesen und Wälder begleiten wird. Das Zënter de paslunch mit seinen 26 Loipenkilometern macht mir das Erlernen dieser neuen Sportart wirklich leicht. Während ich versuche, meine Technik am Übungshang zu verbessern, beobachte ich die geübten Langläufer*innen, die mit hoher Geschwindigkeit über die sonnigen Loipen des Langlaufzentrums skaten. Immer im Blick die Berge Conturines und Lavarela, der bekannt ist für seinen Rundumblick ins Gadertal. Bald schon, nehme ich mir vor, möchte auch ich die Natur rund um San Cassiano auf Langlaufskiern entdecken. Der aussichtsreiche, 2,7 Kilometer lange Rundweg am Fuß des Sas Dlacia wird mir dafür als idealer Einstieg dienen.

 

Tag 6 – La Villa In eine warme Wolldecke gehüllt, den Blick auf das Spektakel aus Sternen und Milchstraße über mir gerichtet, sitze ich in der Kutsche und kann mein Glück nicht fassen. Immer wieder dringt das rhythmische Schnauben der beiden Pferde an mein Ohr, die mich in gemütlichen Trapp durch die verschneite Winterlandschaft entlang des Flusses Gader ziehen. Während ich mit dem Kutscher in ein kurzes Gespräch verfalle, erreichen wir den Tru di artisć, eine Freiluftgalerie, die in regelmäßigen Abständen mit Kunstwerken von ladinischen Künstler bestückt wird. Beleuchtete Skulpturen, gefertigt aus Holz, Metall und anderen Materialien, säumen den dreieinhalb Kilometer langen Weg. Dazwischen finden sich Tafeln mit Versen in ladinischer Sprache. Verzaubert von den poetischen und künstlerischen Eindrücken, bringt mich die Kutsche nach rund eineinhalb Stunden wieder zurück ins Dorf. Ein Tagesabschluss, der schöner nicht hätte sein können.

Verena Spechtenhauser, Bücherliebhaberin, freie Journalistin, Historikerin. Nach Stationen in Innsbruck, Rom und Madrid lebt sie zurzeit mit ihrer Familie in Meran. Am Liebsten schreibt sie über Literatur, Natur, Reisen, Architektur und Design für diverse Medien und Verlagsprojekte und verliert sich während ihrer beruflichen Recherchen regelmäßig in Rabbit Holes, aus denen sie nur schwer wieder rauskommt.

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